Wie sich Curve-Fittig bei der Erstellung von Handelssystemen vermeiden lässt

Viele Handelssysteme und Börsenregeln erzielen in der Testphase gute Ergebnisse, beim Einsatz in der Praxis versagen sie jedoch. Wie kann ein derartiges Verhalten vermieden werden, welche Prinzipien sind bei der Konzeption von Handelsregeln und Handelssystemen zu beachten?

Was Curve-Fitting ist

Als Curve-Fitting oder Over-Fitting bezeichnet man die Überanpassung einer Handelsstrategie an die ihr zugrunde liegenden historischen Kursdaten. Eine Aktien-Handelsstrategie wird bei einer Überanpassung zwar die historischen Handelssignale sehr korrekt erzeugen, in der Zukunft auf unbekannten Kursdaten jedoch versagen.
Meist taucht dieser Begriff im Zusammenhang mit sog. Mechanischen Handelssystemen auf. Mechanische Handelssysteme generieren auf der Basis von Kursdaten vollautomatisch Handelssignale und werden durch entsprechende Computerprogramme realisiert.

Alles Handeln erfolgt mit System

Der automatische Ansatz erlaubt es, die zu untersuchenden Handelsregeln einfach und schnell auf historischen Daten zu testen (sog. Backtest). Die interessierenden Zielgrößen, wie Trefferquote und Gewinn, können im Gegensatz zu "normalen", manuellen Verfahren umfassend und mit vergleichsweise großer Geschwindigkeit optimiert werden. Letztlich müssen aber auch "normale" Börsenregeln getestet werden bzw. beruhen auf Erfahrung, was ebenfalls einem Test entspricht. Diese sog. diskretionären Systeme des Handelns, d.h. Handelssysteme, unterscheiden sich damit nur durch die Datenbasis (z.B. unscharfe Daten wie Nachrichten) und eine subjektive Informationsverarbeitung ("normale" Börsenregeln sind oft "intuitiv", oft werden bestimmte Kurssituationen mehr oder weniger unbewusst ausgeklammert).
Das generelle Prinzip eines Handelns nach vorher getesteten Regeln gilt also auch für sog. Diskretionäre Handelssysteme. Folglich gilt das Problem des Curve-Fittings auch für diese Handelssysteme.

KISS - Keep It Simple Stupid

Obwohl ein überangepasstes System auf historischen Daten sehr gut funktionieren wird, muss nicht zwangsläufig der Umkehrschluss gelten. Ein auf historischen Kursdaten gut funktionierendes Handessystem muss nicht überoptimiert sein. Unrealistische positive Ergebnisse lassen jedoch ein Curve-Fitting vermuten.
Der oft diskutierte Ansatz, von mehreren Testläufen nicht das beste, sondern zweit- oder drittbeste System für den Einsatz auszuwählen, ist nicht unkritisch zu betrachten. Der Grund ist mathematischer Natur. Bei der Parameter-Optimierung klassischer Handelssysteme handelt es sich meist um eine Optimierung nachrangiger bzw. sekundärer Parameter (z.B. Prozentsatz, Indikatorparameter). Obwohl diese Parameter das Systemergebnis wesentlich beeinflussen, sind sie meist nicht Teil der Struktur. Von der Struktur bzw. Komplexität hängt aber das Curve-Fitting im Wesentlichen ab. Zu viele und zu komplizierte Regeln erzeugen ein überoptimiertes Handelssystem. Die Regeln in Form der ausgewählten und verknüpften technischen Indikatoren stellen die primären Parameter eines klassischen Handelssystems dar. Ihre Anzahl beeinflusst das Risiko eines Curve-Fittings ganz wesentlich.
Ein überoptimiertes Handelssystem beruht im Wesentlichen auf zu vielen und zu komplizierten Regeln. In einem solchen Fall wird praktisch für einen Großteil der historischen Signale jeweils eine eigene Regel aufgestellt. Oft geschieht das, ohne das sich der Entwickler dessen bewusst ist.
Um in der Realität zufriedenstellende Resultate zu erzielen, ist es also notwendig, mit möglichst wenigen bzw. einfachen Handelsregeln zu arbeiten. Im amerikanischen Sprachgebrauch hat sich hierfür der Ausdruck KISS, "Keep It Simple Stupid", eingebürgert.

Fazit

Besser ist es also, von vornherein das Regelsystem möglichst einfach zu halten. Die Anzahl der verwendeten Indikatoren ist gering zu halten. Überzogene Vorstellungen bezüglich der zu erzielenden Ergebnisse (Trefferquote und Gewinn) sind zu vermeiden; der Maßstab ist hier die Praxis bzw. die Erfahrung.
Zu guter Letzt sollte sich der Entwickler eines Handelssystems bewusst sein, dass mit der Anzahl der im Backtest erzielten Handelssignale auch die Aussagekraft des Testresultats steigt. Aus statistischer Sicht wünschenswert ist eine Anzahl in der Größenordnung 100.
Ob diskretionär oder mechanisch, jede Art zu handeln benötigt ein "System". Es gilt: soviel Kompliziertheit in den Regeln wie nötig, soviel Einfachheit wie möglich.

 

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